18. März 2022

Round Table: „Lassen Sie uns gemeinsam Fahrt aufnehmen!“

Im Gespräch mit den Prokon-Vorständen Henning von Stechow und Andreas Neukirch benennen die energiepolitischen Sprecherinnen ihrer Fraktionen, Ingrid Nestle (Grüne) und Nina Scheer (SPD), die Knackpunkte bei der Energiewende – und warum sie trotzdem an einen Erfolg glauben.

Teams 3

Andreas Neukirch: Frau Nestle, Sie haben in Sachen Energiewende vom „Respekt für die Aufgabe“ gesprochen, Minister Habeck hat keine Hoffnungen fürs laufende Jahr gemacht. Wollen Sie damit die hochgesteckten Erwartungen an die Politik dämpfen?

Ingrid Nestle: Der Übergang von der alten Energiewelt in die neue ist eine große und komplexe Aufgabe, die man mit Respekt wahrscheinlicher meistern kann als ohne. Die Erneuerbaren müssen rechtzeitig da sein, die Netze müssen funktionieren, das Design des Strommarktes muss passen. Aber es ist natürlich auch wichtig, dass wir schauen, wo wir stehen. Wir haben in den letzten Jahren sehr viel Zeit verloren, der Ausbau der Windenergie an Land ist eingebrochen, statt zu wachsen. Das ist ein Problem, weil dieser günstige Strom uns jetzt fehlt. Das merken wir ja in der aktuellen Energiepreiskrise.

Henning von Stechow: Wir spüren in der Branche durchaus eine Aufbruchstimmung. Das motiviert uns alle. Allerdings wissen wir auch, wie groß die Aufgabe der Regierung ist: Gelingt es, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, die behördlichen Standards in der Gesetzesanwendung zu präzisieren, um Klagerisiken zu minimieren, und die Länder einzubinden? Wir sind sehr gespannt, was die Bundesregierung in den „Oster- und Sommerpaket“ genannten Gesetzesinitiativen umsetzt. Wir als Prokon können sagen: An uns soll es nicht liegen. Wir stehen bereit, wir können sofort loslegen und mehr Erneuerbare ans Netz bringen.

Nestle: Das freut mich zu hören – auch dass es bei Ihnen nicht an den Fachkräften scheitert. Ein paar Dinge haben wir ja schon konkret im Koalitionsvertrag vereinbart. Dazu gehört etwa, dass Erneuerbare Energien der öffentlichen Sicherheit dienen. Dass das stimmt, sehen wir gerade im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise.

Neukirch: Frau Scheer, Sie haben die neue Taxonomie-Verordnung der EU scharf kritisiert. Auch für uns als größte Genossenschaft für Erneuerbare Energien in Deutschland ist das ein mehr als fragwürdiges Signal. Es konterkariert alles, was wir unter zukunftssicheren Investitionen verstehen. Wie wird sich das auf die Energiewende auswirken?

Nina Scheer: Die Einstufung von Atomenergie unterläuft die Nachhaltigkeitsziele der EU und ist insofern abzulehnen. Atomenergie ist nicht nachhaltig. Entgegen den eigentlichen Vorhaben, nachhaltige Investitionen mittels der Taxonomie zu stärken, werden Investoren anhand der Einordnung von Atomenergie als nachhaltig in folgenschwere Fehl­investitionen gelenkt. Jeder Euro, der für Atomenergie ausgegeben wird, ist ein Euro, der bei den Erneuerbaren fehlt. Es besteht das Risiko, dass die Taxonomie zum Maßstab auch für die Verwendung der europäischen Mittel für den Klimaschutz wird – und da geht es um enorme Summen. Es gibt aber die Hoffnung und Chance auf eine Mehrheit des EU-Parlaments gegen den entsprechenden delegierten Rechtsakt.

Nestle: Es ist aus unserer Sicht grundfalsch, dass Atomenergie Bestandteil der Taxonomie ist. Wir hätten auch Gas nicht darin gebraucht. Dass Österreich und Luxemburg gegen diese Form von Greenwashing klagen wollen, ist nachvollziehbar.

von Stechow: Wir können nur hoffen, dass eine klar ablehnende Haltung von Verbraucherinnen und Verbrauchern gerade Banken europaweit von einer Finanzierung der Atomkraft abbringt. Da könnte sich die Atomkraft wegen der schlechten Investitionsperspektiven doch mit größerer Geschwindigkeit aus dem Markt verabschieden.

Neukirch: Eine entscheidende Frage für die Windenergie sind die Genehmigungen und welche Durchgriffsmöglichkeiten der Bund hat. Die Behörden haben noch keine Kultur entwickelt, es als Leistungsfähigkeit zu verstehen, wenn sie Erleichterungsschritte aktiv nutzen. Uns ist klar, dass der Bund im Föderalismus nicht alles regeln kann. Dennoch: Wären nicht beispielsweise zusammengefasste Genehmigungsbehörden denkbar, damit es bundesweit die gleiche hohe Expertise gibt? Da bin ich neugierig, welche smarten Ideen es für die Energiewende gibt – auch zum Thema Repowering.

Nestle: Auf jeden Fall wollen wir bundesweit mehr Rechtsklarheit schaffen, damit nicht jede Behörde neu vor der Aufgabe steht, zu definieren, was genehmigungsfähig ist. Und wir brauchen natürlich auch die nötige Ausstattung mit qualifiziertem Personal.

Scheer: Nach ersten Vereinfachungen, die etwa für das Repowering bereits auf den Weg gebracht wurden, brauchen wir tatsächlich mehr qualifiziertes Personal, Bündelung von Kompetenzen und auch vereinheitlichte Kriterien, wo dies sinnvoll ist. Das beschleunigt und schafft Rechtssicherheit bei den Genehmigungen. 

von Stechow: Wird man auch einen Weg mit den Ländern finden, die sich bisher wenig kooperativ zeigen?

Nestle: Mein Eindruck ist schon, dass alle Bundesländer ein Interesse daran haben, den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben – auch Bayern. Wir wollen mit den Ländern eine Lösung finden, aber wir werden uns auch nicht zum Spielball von ewigen Diskussionen machen lassen. Der Bund hat durchaus die Möglichkeit, Dinge zu entscheiden. Im Koalitionsvertrag haben wir uns vorgenommen, die Dauer der Genehmigungsverfahren zu halbieren.

Scheer: Ja, die Dauer ist heute ein massives Problem; das muss deutlich verkürzt werden. Zudem sollte es für die Länder neben den von ihnen auch mit Blick auf die Flächenziele zu erbringenden Ergebnissen spürbar werden, wenn sie mit dem Ausbau Erneuerbarer Energien nicht vorankommen. Gut wäre, wenn man hier ergänzend auch mit Anreizen arbeiten könnte. Die Länder sollten merken, dass Fördergelder dann verschlossen bleiben, wenn sie die Energiewende blockieren oder ausbremsen. Anreizbasiert kann es übrigens auch gelingen, gesetzte Ziele nicht nur zu erreichen, sondern letztlich zu überrunden. Das ist Teil der Erfolgsgeschichte des EEGs.

von Stechow: Wie unterschiedlich Genehmigungsverfahren laufen, erleben wir bei unseren eigenen Projekten hautnah. In Oldendorf etwa dauerte das gesamte Verfahren knapp vier Jahre. Aber im Regelfall sehen wir eher eine Dauer von sechs bis acht Jahren. Die Abwägung zwischen den Interessen etwa von Denkmalschutz, Naturschutz, Nachbarschaftsrechten und der Energiewende ist ungeheuer zeitaufwendig für die Behörden, weil bundesweit einheitliche Standards fehlen. In Brandenburg hatten wir im Ergebnis dann die kuriose Situation, dass wir aus Denkmalschutzgründen Sichtachsen auf Gebäude beachten sollten, die gar nicht mehr existierten.

Nestle: Bisher ist es oft so, dass andere, ältere Schutzgüter einfach klarer definiert sind. Und der Klimaschutz kriegt dann die Brocken, die übrig bleiben. Dabei lassen sich etwa Natur- und Artenschutz mit dem Ausbau der Windenergie sehr gut vereinen. Mehr noch: Ohne Windenergie verschärft sich die Klimakrise, die ein dramatisches Artensterben verursachen würde. Oft stehen aber Schutzgüter nebeneinander – und da muss einfließen, wie wichtig der Klimaschutz ist, was ja auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Es muss schneller und vor allem auch rechtssicherer klar sein, wo Windenergieanlagen stehen können.

Neukirch: Erwarten Sie da nicht Riesenärger von Naturschützern, die ja ebenfalls zur grünen Stammklientel zählen?

Nestle: Bei dem Thema gehen die Emotionen hoch, aber für den Artenschutz ist mehr gewonnen, wenn wir wirklich wertvolle Flächen mit entsprechenden Programmen aufwerten. Wenn wir da ein schlüssiges Konzept vorstellen, sind die meisten Menschen offen für Argumente.

Scheer: Hier muss sicher noch Einiges an Aufklärung geleistet werden. Zudem brauchen wir klare Regelungen – auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene, soweit dies erforderlich erscheint. Es widerspräche der Bedeutung Erneuerbarer Energien, wenn sie nach Kriterien des Artenschutzes ausgebremst würden, soweit in deren Anwendung insgesamt kein Mehr an Artenschutz liegt.

von Stechow: Die berechtigten Interessen des Artenschutzes mit denen des Klimaschutzes in Einklang zu bringen, erscheint uns als Schlüsselherausforderung für das Gelingen der Energiewende. Der Aspekt der steigenden oder stabilen Gesamtpopulation wird zu wenig gewürdigt.

Scheer: Und deswegen ist hier auch rechtlicher Klärungsbedarf angezeigt. Zudem sollten Möglichkeiten technischer Lösungen wie Abschalteinrichtungen, mit denen sich das Kollisionsrisiko von Vögeln minimieren lässt, einbezogen werden – aber auch nur, wenn dies tatsächlich vor Ort erforderlich ist. Andernfalls wäre auch dies ein weiteres und dabei nicht zielführendes Hemmnis.

Neukirch: Was kann der Beitrag einer genossenschaftlichen, also sehr bürgerbasierten Investitionsaktivität zur Energiewende sein?

Nestle: Generell sind Genossenschaften eine sehr gute Wirtschaftsform. Dass sie Mitbesitzer sind, erhöht die Identifikation der Menschen mit den Anlagen und ist entscheidend dafür, dass sie auch akzeptiert werden.

Scheer: Es ist unser ausdrückliches Ziel Bürgerenergie zu stärken – kommunale Beteiligungen eingeschlossen. Insofern sind sowohl Genossenschaften als auch Kommunen als Player angesprochen. Auch wenn sie nur mit kleinem Geld oder als Bürger beteiligt sind, hat es einen unschätzbaren Mehrwert, wenn eine lokale Identi­fikation mit den Projekten und Veränderungen vor Ort stattfindet.

von Stechow: Gerade der ländliche Raum ist wichtig für die Energiewende. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde ein Projektentwickler von Landwirten am Tor mit einem Schnaps begrüßt, heute steht dort mancher mit der Heugabel. Hier muss auf allen Ebenen die Kommunikation besser werden. Wo es gut informierte Landräte, Bürgermeister und Anwohner gibt, die das Thema Energiewende durchdrungen haben, ist die Akzeptanz der Windenergie deutlich höher.

Scheer: Mir gefällt das Wort Akzeptanz in diesem Zusammenhang eigentlich nicht. Das unterstellt, dass Windenergie ein Problem sei. Dies ist falsch; keine oder zu wenige Erneuerbare Energien sind hingegen ein Problem. Man ist dann schnell in einer Verteidigungshaltung, obwohl der Ausbau der Erneuerbaren eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte und für Chancen steht – in Wertschöpfung wie beim Klimaschutz. Auch bei der Energiewende müssen wir aufpassen, dass nicht ständig Tatsachen und Meinungen vermischt werden, wie wir das von anderen Themenfeldern kennen.

Nestle: Wir müssen viel klarer für die Erneuerbaren werben. Es ist jetzt ja für jeden erkennbar, dass sie nicht nur klimafreundlich sind, sondern auch die Strompreise senken und für Versorgungssicherheit sorgen. Wir wollen die Netzentgelte so strukturieren, dass der ländliche Raum stärker finanziell profitiert. Und dass so mehr Wertschöpfung im Land bleibt, weil ein wichtiger Teil der Arbeit vor Ort stattfindet, ist eine Tatsache und nicht bloß eine Meinung.

von Stechow: Die Größe der vor uns liegenden Aufgabe verdeutlicht eine Zahl: 2021 wurden 400 Windenergieanlagen an Land neu errichtet. Um die Klimaziele 2030 zu erreichen, müssen es schnellstmöglich zwischen 1000 bis 1500 Anlagen pro Jahr werden. Da muss einiges passieren.

Scheer: Ja, und wir haben keine Zeit zu verlieren. Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiepreiskrise erst recht nicht. Bezahlbare und verfügbare Energie zu garantieren, heißt den Umstieg auf Erneuerbare zu beschleunigen.

Nestle: Ich bin sicher, Unternehmen wie Prokon haben demnächst viel zu tun, denn wir wollen, dass der Markt wächst. Es wird nächstes Jahr losgehen mit der Beschleunigung. Dieses Jahr brauchen wir für die Gesetzgebung, aber dann werden wir nach meiner Einschätzung zügig Dynamik entfalten. 

von Stechow: Das können wir mit unserer Investitionsplanung synchronisieren. In den letzten Jahren war es teilweise sehr zäh. Aber jetzt sind wir guten Mutes, dass wir gemeinsam Fahrt aufnehmen.



Dr. Nina Scheer

Nina ScheerDr. Nina Scheer, Jahrgang 1971, hat ein Violinstudium absolviert, neben ihrer Tätigkeit als Musikerin Jura studiert und in Politikwissenschaften promoviert. Von 2007 bis 2013 war sie Geschäftsführerin von UnternehmensGrün. Seit 2013 ist die Sozialdemokratin Mitglied des Bundestags, seit 2021 direkt gewählt. Scheer ist Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

Dr. Ingrid Nestle

Ingrid Nestle

Dr. Ingrid Nestle, geboren 1977, hat Umwelt- und Energiemanagement in Flensburg studiert und zum Klimawandel in der Landwirtschaft promoviert. Sie saß 2009 bis 2012 für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag. Von 2012 bis 2017 war sie Staatssekretärin im Umweltministerium von Schleswig-Holstein. Seit 2017 ist sie wieder MdB und dort Sprecherin für Klimaschutz und Energie im Bundestag ihrer Fraktion.